6. Oktober 2023 / Aus aller Welt

Wissen statt Scham - Madita Oeming erforscht Pornos

Kulturwissenschaftlerin, politische Aktivistin, Aufklärerin: Madita Oeming will Pornofilme aus der Tabuzone holen. Denn sehr viele Menschen schauen sie, aber fast niemand redet darüber.

Die Pornowissenschaftlerin Madita Oeming plädiert für
von Christina Sticht, dpa

Ihre Mission trägt Madita Oeming an diesem Tag auf ihrem T-Shirt: «Wissen statt Scham» steht in weißen Großbuchstaben auf schwarzem Stoff. Die 37 Jahre alte Kulturwissenschaftlerin aus Göttingen möchte Menschen dazu bringen, offen über Pornos und Lust zu sprechen, statt Sex-Filme nur heimlich, verschämt oder gar mit Schuldgefühlen zu schauen. «Pornos sind Teil der Alltagskultur», betont Oeming.

Erst waren Pornos nur für über 18-Jährige in der Videothek zu haben, dann kam das Internet. Auf dem Smartphone, Tablet und PC sind sie heute jederzeit und überall verfügbar. «Wenn wir von Anfang an lernen würden, darüber eine Gesprächskultur zu entwickeln, dann wäre das hilfreich», sagt Oeming. Laut einer repräsentativen Umfrage haben 96 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen schon einmal Pornos geguckt.

Shitstorm mit massiven Drohungen

Seit 2014 beschäftigt sich die gebürtige Bonnerin, die in Berlin aufgewachsen ist, wissenschaftlich mit Pornos. Nach dem Studium von VWL, Kulturwissenschaften und Amerikanistik in Göttingen übernahm sie an der Universität Paderborn eine Promotionsstelle. Lehraufträge hatte sie auch an anderen Hochschulen wie der Uni Münster. Die Analyse von Pornos sei ein Thema für die Kulturwissenschaften, weil Pornos Teil unserer Kultur seien, sagt Moritz Baßler, Germanistikprofessor an der Uni Münster.

Schon nach Ankündigung eines Seminars für die FU Berlin 2019 erlebte Oeming einen Shitstorm mit sexistischen Anfeindungen und massiven Drohungen. «Konservative und rechte Gruppen sind anti-Porno, sexfeindlich, lustfeindlich und frauenfeindlich», beobachtet sie.

Sie passt nicht ins Uni-System

Zwar keine Hassnachrichten, aber Sticheleien und übergriffige Bemerkungen erlebte die junge Dozentin auch in der akademischen Welt. «Wenn man die Porno-Tante an der Uni ist, stößt man permanent auf Gegenwehr. Ein Kollege meinte mal, ich sollte doch mein Privatleben zu Hause lassen.»

Auch weil sie merkte, dass sie in das System Universität nicht passte, machte sich Oeming im Mai 2022 selbstständig. «Natürlich gibt es beim Finanzamt nicht das Kästchen Porno-Wissenschaftlerin, aber ich finde, dieses Wort funktioniert einfach gut: Jeder weiß, was gemeint ist und man hat einen schönen Irritationsmoment.»

Als unabhängige Porno-Wissenschaftlerin hält Oeming Vorträge und Seminare. Anknüpfungspunkte gibt es ihr zufolge auf vielen Forschungsfeldern wie Filmwissenschaften, Genderforschung, Sexualpädagogik oder Medienpsychologie.

Derzeit ist sie mit ihrem im August erschienenen Sachbuch «Porno. Eine unverschämte Analyse» auf Lesereise unterwegs. Ihr Verlag Rowohlt bezeichnet die Autorin als sex-positive Feministin und Lustaktivistin, die sich als Brückenbauerin zwischen Academia, Pornoindustrie und breiter Öffentlichkeit versteht.

«Ich fühle mich wie die Porno-Päpstin»

Bei einigen Veranstaltungen, etwa im Literarischen Salon in Hannover (6.11.), stellt sich Oeming gemeinsam mit der Pornoproduzentin Paulita Pappel dem Gespräch. In Pappels Buch «Pornopositiv» geht es nach Angaben ihres Verlags Ullstein um Pornografie als «Werkzeug der Emanzipation».

Radikalfeministinnen sahen das lange ganz anders: Alice Schwarzer startete 1987 die PorNO-Kampagne und stritt für ein Porno-Verbot. Nach Oemings Analyse bestimmt die Rhetorik dieser Bewegung noch immer das «öffentliche Bild von Pornos als Erniedrigung von und Gewalt gegen Frauen». «Wir müssen aufhören, Porno zu sagen, wenn wir Gewalt meinen», betont sie. Pornografie sollte an Einvernehmlichkeit gemessen werden.

Weil die Filme überall verfügbar sind, kommen auch Jugendliche immer früher damit in Kontakt. «Im Moment rutschen Pornos in die Rolle der Aufklärung, aber dazu sind sie nicht gemacht», sagt Oeming. «Es sind Übertreibungen, Inszenierungen. Pornos sind Action-Filme, keine Dokumentationen.» Dem sollte aber nicht mit Verboten begegnet werden. Oeming bietet als Kurs den «Porno-Führerschein» an, der nach ihren Worten darauf abzielt, Pornokompetenz zu vermitteln.

Nach Veranstaltungen oder Auftritten vertrauen viele Menschen der Wissenschaftlerin ihre persönlichen Porno-Erfahrungen an. Mal ist es ein Taxifahrer, mal ein Tontechniker oder ein Professor auf einem Medizinkongress. «Das hat oft einen Beichtcharakter», erzählt Oeming. «Ich fühle mich wie die Porno-Päpstin, die dann sagt, das ist in Ordnung und die Absolution erteilt. Diese Rolle möchte ich eigentlich nicht haben.»

Dann schon lieber die Rolle der Aufklärerin, die in ihrem Sachbuch auch Persönliches einfließen lässt und einen goldenen Ring mit dem Schriftzug «Milf» trägt. Dies steht für «Mother I'd like to fuck» (deutsch: «Mutter, mit der ich gern Sex hätte»). Milf ist laut Oeming ein Porno-Begriff geworden. Für ihr Buch recherchierte sie, dass bei den beliebten Suchworten die Milfs den Teens den Rang abgelaufen haben. «Ich verbinde damit weniger eine heiße Mutter, sondern eine erfahrene, sexuell selbstsichere Frau», sagt Oeming. «Und damit kann ich mich durchaus identifizieren.»


Bildnachweis: © Swen Pförtner/dpa
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

Übersicht über aktuelle Baustellen
Stadt Verl

Wann, wo und wie lange? Hier finden Sie Informationen über aktuelle Verkehrsbaustellen im Stadtgebiet. So können Sie...

weiterlesen...
Sprechstunde der AWO-Wohnberatung am 18. September
Stadt Verl

Auch im Alter möglichst lange und selbständig in der vertrauten Umgebung zu leben: Das wünschen sich wohl die meisten...

weiterlesen...
Für Ehrenamtliche: Online-Fortbildung zum Thema „Social Media“
Stadt Verl

Soziale Netzwerke sind heute ein wichtiger Kanal für die Öffentlichkeitsarbeit, auch für Vereine und ehrenamtliche...

weiterlesen...

Neueste Artikel

«Ein Herzenswunsch» – Helene Fischer macht Musik für Kinder
Aus aller Welt

Helene Fischer ist bekannt für Pop-Schlager und aufwendige Bühnenshows. Jetzt wandelt sie auf den Spuren von Rolf Zuckowski und Simone Sommerland. Die neue Zielgruppe ist ausgesprochen jung.

weiterlesen...
Übersicht über aktuelle Baustellen
Stadt Verl

Wann, wo und wie lange? Hier finden Sie Informationen über aktuelle Verkehrsbaustellen im Stadtgebiet. So können Sie...

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

«Ein Herzenswunsch» – Helene Fischer macht Musik für Kinder
Aus aller Welt

Helene Fischer ist bekannt für Pop-Schlager und aufwendige Bühnenshows. Jetzt wandelt sie auf den Spuren von Rolf Zuckowski und Simone Sommerland. Die neue Zielgruppe ist ausgesprochen jung.

weiterlesen...
Erster Eisbär auf Island seit 2016 - von Polizei erschossen
Aus aller Welt

Hunderte Kilometer trennen Island von Grönland. Dennoch hat es ein Eisbär auf die Insel im Nordatlantik geschafft. Dort wurde sein Leben aber rasch beendet.

weiterlesen...